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Sarganserland
Jürg Kesselring | Montag, 07. Oktober 2024

Oratorium: Wie sich mit Liebe auch eine Sintflut überwinden lässt

Am Samstagabend hat sich in der Klosterkirche Pfäfers eine grosse Zuhörerschaft geradezu überwältigt vom monumentalen Oratorium «Die Sintflut» von Hanspeter Gschwend (Text) und Martin Völlinger (Musik) gezeigt.

Die Uraufführung des generationenübergreifenden Grossprojektes mit dem Chor der Generationen und dem Orchester Puc-cini unter der Leitung von Christian Renggli gilt als ein musikalischer Höhepunkt der Bad Ragartz, die für so viele Einheimische und Tausende von Besucherinnen und Besuchern den ganzen Sommer über wunderbare kulturelle Erlebnisse ermöglichte.

«Hat uns Gott nicht schön gemacht?»

Eine Inspiration zu seinem Werk erfuhr der Autor vor vier Jahren durch die sintflutartigen Überschwemmungen und fand im Rückzug im Kloster Disentis wieder zur Lektüre der biblischen Geschichte und der Psalmen: Er war (wieder) erschüttert von der Geschichte, dass «Gott sah, dass die Welt schlecht war, es reute ihn, dass er die Menschen geschaffen hatte, und wollte sie vernichten». Schon in der ausführlichen Vorbesprechung wurden Fragen zur Bedeutung gestellt, die über die Katastrophe hinausgehen: Woher kommt das Böse? Eine pragmatische Antwort zu dieser ewigen Grundfrage der Gerechtigkeit lautet dahin, dass «das Gift der Schlange wirkt und so lange Macht hat, wie der Mensch sie ihr gibt», dass es an uns liegt, die Welt möglichst gut zu gestalten, rücksichtsvoll gegenüber den Mitmenschen und der Natur uns zu verhalten.

Und dann aber kommt die entscheidende Frage von Noachs Frau (die ohne Namen bleibt – sie ist eben der Archetyp der liebenden Frau und der sorgenden Mutter): «Hat Gott uns denn nicht schön gemacht?» Noach kann nicht und will auch nicht, weder verstehen noch akzeptieren, dass Gott seine eigene Schöpfung vernichten wolle. Die Frau aber bringt ihn dazu, die Arche zu bauen, in der einige, die bereit sind, die Sintflut überstehen können. Wenn Gott zu Noach sagt: «Du musst nicht verstehen, du musst glauben!», so ist es für uns nur allzu verständlich, dass wir mit diesem Befehl hadern. Aber wenn uns gesagt wird, dass Frauen mehr Sinn für das Existenzielle des Lebens haben, so können auch wir einen Weg finden, dieses Verstehen nicht im Worte zu fassen, sondern im Emotionalen, und dafür kann die Musik zum idealen, glaubwürdigen Erkenntnisträger werden. Bei diesem Konzert gelang es in der bewundernswerten Kombination von Text und Musik, dass wir in Ergriffenheit und Betroffenheit mit Trost und versöhnlich hinaus und weitergehen können.

Die musikalische und theatralische Interpretation der Sintflut in diesem Werk verbindet Generationen und die biblische Zeit mit dem Heute: ein klassisches, vierteiliges und hochdramatisch angelegtes Oratorium mit sehr viel Tiefgang. Im Gegensatz zur biblischen Geschichte, oder in wohltuender Ergänzung dazu, erhält auch Noachs Frau mit der Mezzosopranistin Susanne Andres eine Stimme – und erst noch eine wunderschöne, vielseitige, klare und reine, zwischen Flüstern und Dramatik gekonnt wechselnde.

Text gibt Gedankenanstösse

Die Texte folgen weitgehend dem Inhalt der biblischen Geschichte, liefern aber auch zur heutigen Weltsituation zahlreiche Gedankenanstösse, ohne konkret politisch zu sein. Musikalisch nutzt der (im Chor zuhinterst froh, offensichtlich befriedigt und hoffentlich auch sehr stolz mitsingende) Komponist Martin Völlinger eine breite Vielseitigkeit, einstimmig Gefühlsbetontes, teilweise in rhythmischem Sprechgesang, Kinderstimmen, die klangliche Hoffnungsfarben vermitteln, und der sehr klar und dramatisch artikulierende und gekonnt gestikulierende Erzähler Martin Butzke, der Gott und Noach seine Stimme gibt. Der Chor der Generationen umfasst etwa 120 Menschen zwischen acht und 80 Jahren, es sind Sängerinnen und Sänger dabei, die zum ersten Mal in einem Chor mitsingen, andere verfügen über eine Gesangsausbildung oder langjährige Erfahrung mit Chorkonzerten. Das Ergebnis ist ganz erstaunlich und enorm erfreulich.

Es sollte unbedingt angestrebt werden, dass dieses grossartige musikalische Erlebnis, das für die dankbaren Zuhörerinnen und Zuhörer eine einmalige, so wertvolle Erfahrung war, die noch lange nachwirken wird, auch auf Tonträger aufgenommen werden kann, damit auch ein weiteres Publikum sich an den bedenkenswerten, poetisch formulierten Texten und der wunderbaren Musik erfreuen und sich ergreifen lassen kann.

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