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"Diese WM kam meinem Idealbild vom Hockey am nächsten"
Am Samstag feiert der Schweizer Eishockey-Nationalcoach Patrick Fischer seinen 50. Geburtstag. Der ideale Zeitpunkt für ein Gespräch mit Keystone-SDA über Silbermedaillen, Ziele und Zukunftspläne.
Patrick Fischer, was denken Sie bei der Zahl 50?
"Halbzeit, so 50 Prozent. (überlegt) Das ist für mich eine spezielle Zeit, ich werde 50. Das Jahr 2025 war bei mir immer schon etwas im Kopf, schon als junger Bub. Ich weiss auch nicht warum. Ich bin in erster Linie froh, dass ich mit 50 immer noch gesund und zwäg bin."
50 ist also nicht ein Alter, das Ihnen Angst macht?
"Nein, wirklich gar nicht! Ich bin für die ersten 50 Jahre, wenn ich das so sagen darf, unglaublich dankbar. Ich habe ein sehr privilegiertes Leben bis jetzt: Meine Eltern sind noch da, mein Umfeld und meine Freunde, alles top. Es gibt niemanden, der aus meinem nahen Umfeld überraschend aus dem Leben gerissen wurde durch einen Todesfall. Ich darf das ausüben, was ich am liebsten mache, seit ich ein kleiner Junge bin, und das ist das Hockey. Dieser Sport hat mich all die Jahre begleitet, mit ganz vielen wunderschönen Geschichten, sei es durch die Menschen oder die Erlebnisse. Ich bin einfach dankbar, und ich freue mich darauf, was die nächsten 50 Jahre bringen (lacht). Es darf gerne so weitergehen.”
Erleben Sie einen Sommer wie diesen nach einer erfolgreichen WM anders als jeweils nach einem verlorenen Viertelfinal?
"Es ist schon angenehmer, als wenn du die WM verhauen hast. Du wirst halt immer wieder darauf angesprochen, in beide Richtungen. Und es ist logisch, dass dies eher positive oder eher negative Gefühle auslöst. Als Nati kannst du ein Jahr lang auf dieser Welle reiten oder halt eher im Gegenwind stehen."
Sie haben gesagt, Sie hätten diese Finalniederlage besser verarbeiten können als die zuvor. Hat das auch mit dem Alter und der Erfahrung zu tun?
"Ich habe mich das auch gefragt, warum. Letztes Jahr war die Situation eine ganz andere. Es herrschte viel Gegenwind, viel Druck. Vielleicht war dadurch die Anspannung grösser, und ich hatte dann härter zu beissen. Vielleicht bin ich diesmal auch mit weniger Erwartungen in die WM gegangen, weil wir etwas in einer Neuausrichtung waren und einige jüngere Spieler ins Team eingebaut haben. Aber die Art und Weise, wie wir dieses Jahr gespielt haben, hat mir extrem gefallen. Das kam meinem Idealbild vom Hockey am nächsten. Nach dem Final hatte ich sehr schnell das Gefühl, dass ich sehr zufrieden und stolz auf die Mannschaft bin.”
Umgekehrt habe ich Sie noch nie so down erlebt wie vor zwei Jahren in Riga nach dem verlorenen Viertelfinal gegen Deutschland. Da haben Sie ja auch den Spielern und dem Verband die Vertrauensfrage gestellt. Wie nahe waren Sie da daran, den Bettel hinzuschmeissen?
"Dort ging es nicht um mich, es ging darum, was das Beste für die Mannschaft ist. Ich war bereit, das Feld zu räumen, wenn der Verband oder die Spieler das Gefühl gehabt hätten, wir brauchen einen neuen Input. Ich bin sicher nicht derjenige, der die Flinte ins Korn wirft, das ist nicht mein Charaktertyp. Wenn es nötig gewesen wäre für das Team, dann hätte ich diesen Schritt gemacht. Doch die Mannschaft hat uns vom Coachingstaff den Rücken gestärkt und der Verband auch. Darum ist die Reise zum Glück weitergegangen.”
Spüren Sie vor so einem Viertelfinal einen Unterschied zwischen den letzten beiden Jahren und den vier verlorenen davor?
"Ja, wir haben das auch thematisiert, dass wir in den Viertelfinals oft Mühe hatten, unsere beste Leistung abzurufen. Den Umgang mit der Favoritenrolle mussten wir erst lernen. Gegen Deutschland und Österreich waren wir zuletzt zweimal in dieser Rolle und haben das hervorragend gemeistert. Wir wissen inzwischen, dass wir eine Topmannschaft sind, die in vielen Spielen als Favorit aufs Eis geht. Und wir haben keine Mühe mehr damit.”
Sie haben nach dem Final gesagt, sie seien lieber Schweizer mit einer Silbermedaille als Amerikaner mit einer goldenen. Warum sind Sie lieber Schweizer als Amerikaner?
(lacht) "Das hat überhaupt nichts mit den Amerikanern zu tun, es hätten auch Schweden, Finnen, Italiener oder eine andere Nation sein können. Es geht einfach darum, dass ich lieber in dieser Ecke bin, mit den Jungs, mit dem Staff zusammen."
Hat das vor allem mit dem Land oder mit den Spielern zu tun?
"Für mich ist klar: Ich liebe das Team, ich liebe unser Land und darum bin ich lieber auf dieser Seite, auch wenn es einmal Rückschläge gibt. Wenn ich auf der anderen Seite der Welt geboren wäre, dann hätte ich logischerweise lieber diese Verbindung. Aber so ist es nun mal, ich bin einfach stolz, Teil dieser Mannschaft sein zu dürfen. Weil wir einen enorm speziellen Zusammenhalt haben.”
Sie haben immer gesagt, Sie möchten mit diesem Team Weltmeister werden. Das ist ja nicht so typisch schweizerisch. In Amerika würde eine solche Aussage nicht in Frage gestellt.
"Wir als Mannschaft haben dieses Potenzial, und es ist der Traum, eines Tages Weltmeister sein zu dürfen. Wir waren viermal Vize-Weltmeister, jetzt wäre es schön, irgendwann diesen nächsten Schritt weiterzugehen. Aber im Sport kannst du dir nichts kaufen. Man muss es sich hart erarbeiten. Unsere Motivation, unser Traum und unsere Richtung sind ganz klar: Wir wollen eines Tages einen Olympiasieg oder einen Weltmeistertitel holen."
Diese Saison gibt es mit Olympia und WM gleich zwei Chancen. Macht es die Vorbereitung schwieriger, wenn man für zwei Höhepunkte parat sein will?
(überlegt) "Nein, wir haben unseren Plan. Es ist eine spezielle Saison. Wir haben es bisher noch nie erlebt, dass wir auch die NHL-Spieler wieder am Turnier haben, die Besten der Besten. Natürlich ist die Belastung höher, aber wir sind gut vorbereitet und haben meiner Meinung nach einen klaren Vorteil: Wir sind ein eingespieltes Team. Fast zwei Drittel unserer Mannschaft sind im Land, und wir können regelmässig mit ihnen arbeiten. Wenn wir dann gegen die Kanadier, Schweden, Finnen oder Tschechen spielen, haben sie diesen Vorteil nicht."
Gleicht das ein bisschen aus, dass sie da noch stärker besetzt sein werden als an der WM?
"Individuell sind diese Teams sicher stärker besetzt und haben auf die 25 Spieler wahrscheinlich mehr Qualität. Aber wir verfügen ganz klar über grössere Stärken als Team. Unser Zusammenhalt und der Teamgeist sind die Basis, und das müssen wir auch nutzen.”
Vor fünf Jahren fiel die Heim-WM der Pandemie zum Opfer. Ist der Zeitpunkt jetzt vielleicht sogar günstiger, weil die Mannschaft gefestigter ist?
"Als wir die WM 2020 vorbereiteten, dachten wir, das sei ein perfekter Zeitpunkt. Aber wenn man die Entwicklung nun anschaut, sind wir noch einmal enorm gewachsen in den letzten fünf, sechs Jahren. Und haben auch eine Konstanz hingebracht, die wirklich bemerkenswert ist.”
Der damalige Chefcoach Ralph Krueger sprach 2009 bei der letzten Heim-WM von einem Heimnachteil, weil die Spieler nicht mit dem Druck umgehen konnten. Das würden Sie nie sagen, oder?
"Ich bin lieber zuhause als auswärts."
Ist es auch das Zeichen eines Mentalitätswandels im Schweizer Sport, dass man den Druck eher annimmt als darin eine Belastung zu sehen?
"Der Druck ist immer da. Jeder Sportler will stets sein Bestes geben, sei es bei Tests oder im Wettkampf. Das ist einfach unser Wesen. Gleichzeitig haben wir unglaubliche Fans und so einen starken Support hier in der Schweiz. Das haben wir im Sommer bei der Fussball-EM der Frauen gesehen, und wir erleben es bei uns an der WM jedes Mal, wenn die Schweizer Fans ins Stadion kommen. Ich spüre schon jetzt, dass sich ganz viele Leute enorm auf die WM freuen. Sie werden uns im Stadion pushen und unterstützen. Deshalb bin ich überzeugt, dass wir einen Vorteil im Rücken haben werden, zu hundert Prozent."
Ihre fünfjährige Tochter heisst Oceania. Das klingt nach weiter Ferne. Ein Zeichen, dass Ihnen die Schweiz manchmal ein bisschen zu klein ist?
"Nein, nein, mir ist die Schweiz überhaupt nicht zu klein. Im Gegenteil, ich liebe das eigentlich. Ich wohne auf dem Land, gerne etwas abgeschieden und ruhig. Aber ich liebe einfach das Meer und das Wasser. Und meine Tochter auch."
Aber könnten Sie sich vorstellen, einmal im Ausland als Trainer zu arbeiten?
"Ich bin ein neugieriger Mensch und liebe neue Herausforderungen. Was in meinem Leben noch kommt, weiss ich nicht. Es ist alles möglich."
Passt Ihnen die Rolle als Nationalcoach, die mehr Freiheiten lässt, als wenn man von August bis April fast täglich in der Eishalle ist?
"Es ist einfach so gekommen, wie es ist. Ich wurde in Lugano schon jung Cheftrainer, ohne vorherige Erfahrung. Wahrscheinlich zu früh. Als Nationaltrainer hatte ich dann die Chance, mich weiterzuentwickeln, was vielleicht komisch klingt, aber ich konnte überall reinschauen und so sehr schnell lernen. Das hat mir extrem geholfen, mich zu schärfen und besser zu werden. Ich liebe es, mich selber zu analysieren, die Persönlichkeitsentwicklung ist für mich wichtig. Darum stimmt die Balance im Moment. Gleichzeitig weiss ich, dass ich wahrscheinlich eines Tages auch wieder mehr im Daily Business arbeiten werde. Aber meine Stärken liegen nicht so im Planen. Schon nach meiner Hockeykarriere habe ich trotz noch drei Jahren laufendem Vertrag von einem Tag auf den anderen aufgehört."
Kann das auch jetzt wieder passieren?
(lacht) "Also, so wie ich mich kenne, läuft es meistens so. So lange das Feuer brennt, die Motivation hoch und das Ziel klar ist, dann gehe ich dem nach, so lange ich darf. Zurzeit interessiert mich nichts anderes. Jetzt haben wir mit Olympia und der Heim-WM zwei Riesen-Leuchttürme vor uns. Mein Vertrag läuft bis dahin, und danach sehen wir weiter."
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