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Annik Kälin und Simon Ehammer nehmen den ersten von zwei Anläufen
Doppelstarts an einem Grossanlass sind nicht ohne Risiko, wie im Fall von Annik Kälin und Simon Ehammer mit Weitsprung und Mehrkampf. Doch die beiden freuen sich an der WM in Tokio auf diesen Schritt.
Es kommt nicht oft vor, dass eine Siebenkämpferin oder ein Zehnkämpfer in einer einzelnen Disziplin ein derart hohes Niveau erreicht, dass sie in einer Einzel-Disziplin gegen die Besten mit den Chancen auf eine WM-Medaille antreten.
Doch bei den beiden Schweizer Assen ist es der Fall. Ehammer hat dies an der WM 2022 in Eugene mit WM-Bronze im Weitsprung bewiesen, Annik Kälin legte im vergangenen März mit Silber in der Sandgrube an der Hallen-EM und -WM nach.
Das WM-Podest lockt
Würden die beiden nicht derart weit fliegen, wäre das Thema Doppelstart vom Tisch. Es macht vor zwei kräftezehrenden Mehrkampftagen keinen Sinn, Energie zu verpuffen, wenn allenfalls eine Qualifikation für einen Weitsprung-Final das höchste der Gefühle wäre. Aber es lockt eben mehr, im Idealfall das WM-Podest.
"Wenn du fit bist, ist der Doppelstart eine Chance", betont Annik Kälin gegenüber Keystone-SDA. "Du kannst an der WM zwei Trümpfe ausspielen. Du gewinnst dadurch an Lockerheit."
Die Voraussetzung: Die Fitness ist einwandfrei. Hinter diesen Punkt setzte männiglich ein Fragezeichen, nachdem sich die Bündnerin Mitte August beim Meeting in Bern den Fuss verstaucht hatte. Marco Kälin, Vater, Trainer und Arzt in einer Person, beschwichtigt: "Nach dem Diamond-League-Final in Zürich ist der Fuss kaum mehr angeschwollen. Es geht zügig besser, es sieht gut aus." Marco Kälin streicht hervor, dass es sich beim Fuss nicht um eine chronische Problemzone handle. "Pech, dumm gelaufen. Dies kann es immer wieder mal geben."
Annik müsse, so ihr Vater, wegen des Weitsprungs, der für eine Mehrkämpferin nicht so belastend sei, keine Konzessionen für den Siebenkampf machen. Gleiches sagt auch die Athletin: "Sobald ich spüre, dass ich einen Kompromiss eingehen müsste, um mein Mehrkampf-Niveau zu halten, dann Finger weg vom Weitsprung."
Nicht mehr Qual der Wahl
Simon Ehammer, Zehnkämpfer aus Leidenschaft und Weitspringer mit noch besseren Medaillenchancen in dieser Disziplin, freut sich schon lange auf Tokio. Denn erstmals seit er 2022 an einem Grossanlass an der Weltspitze mitmischt, erlauben der Zeitplan und die körperliche Fitness überhaupt diesen Doppelstart.
Der Weitsprung ist im Idealfall vor dem Mehrkampf angesetzt - und ist die Zeitspanne zwischen den beiden Wettkämpfen gross genug. Bei Ehammer mit Weitsprung-Final am Mittwoch und Zehnkampf-Start am Samstag danach ist dies perfekt gelöst. Und im Siebenkampf mit Weitsprung-Final am Sonntag und Mehrkampf-Start am Freitag ist das Korsett noch weniger eng geschnürt.
"Ja, zwei Starts bringen Lockerheit. Aber es bleibt eine Herausforderung", erwähnt Ehammers Trainer Karl Wyler. "Wenn Simon an den Start geht, will er eine Medaille." Es gehe um viel, die Spannung sei hoch.
Wyler teilt die gängige Meinung, wonach Ehammer im Weitsprung näher an der Medaille dran sei als im Zehnkampf, nur bedingt. "Die Chancen sind ausgeglichen. Für ein Weitsprung-Podest wird er keine persönliche Bestleistung brauchen, andererseits kann er im Zehnkampf den Schweizer Rekord (8575) klar verbessern." Ab 8700 Punkten gehe es dann um Medaillen.
Spannung hochhalten
Was im Mehrkampf die Ausnahme bildet, ist im Sprint häufig der Fall. Die Asse aus Übersee peilen mit 100 und 200 m sowie der Sprint-Staffel gleich drei Goldmedaillen an. Mujinga Kambundji war in den vergangenen Jahren aus Schweizer Sicht in einer ähnlichen Situation.
Auch in ihrem Fall war es stets ein Abwägen, das nicht immer konfliktfrei über die Bühne ging. An der Heim-EM 2014 in Zürich forderte der Staffel-Trainer beispielsweise den Verzicht auf eine der beiden Einzeldisziplinen, um die Medaillenchancen mit dem Team zu erhöhen. Oder an der WM 2019 in Doha verpasste die Bernerin ihren ersten WM-Final über 100 m um einen Tausendstel, was ihr aber den Schwung verlieh, um später über 200 m WM-Bronze zu gewinnen und die Staffel auf Platz 4 zu führen. An der WM 2022 in Eugene stellte sich Mujinga Kambundji nach Einzelfinals über 100 m (5.) und 200 m (8.) trotz leerer Batterien abermals in den Dienst der Final-Staffel (7.).
Diesen letzten Punkt greift auch Marco Kälin auf. Er dreht die Diskussion um, ob mit einem Doppelstart die Medaillenchancen wegen des Energieverlusts oder der Verletzungsgefahr beeinträchtigt werden. "Wenn im Weitsprung die Medaille kommt, stehen Annik und Simon vor der Aufgabe, die Spannung für den Mehrkampf wieder aufzubauen."
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