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"Mit dem, was wir erreicht haben, können wir uns nichts kaufen"
Marco Bayer erfüllte sich mit der Beförderung zum Cheftrainer des ZSC einen Lebenstraum. Nach dem Triumph in der Champions League und dem Gewinn des Meistertitels folgt nun die Saison der Bestätigung.
Marco Bayer musste lange warten. Der heute 53-jährige Dübendorfer hatte den Traum vom Cheftrainerposten in der höchsten Schweizer Eishockey-Liga schon im Kopf, als er 2009 in Langnau seine aktive Karriere beendete. Doch statt den direkten Weg zu gehen, nahm Bayer die Umwege. Er füllte seinen Rucksack, arbeitete sich mit Geduld und Beharrlichkeit durch verschiedenste Rollen - als Juniorentrainer, Videocoach, Assistent, Sportchef oder Teammanager, im Klub wie auch beim Verband. Es gab kaum eine Funktion, die er nicht ausübte.
Im Dezember 2024 kam dann die Gelegenheit - letztlich doch schneller, als gedacht. Nach dem krankheitsbedingten Rücktritt von Marc Crawford übernahm Bayer praktisch über Nacht den Posten des Cheftrainer beim ZSC. Statt beim Farmteam GCK Lions junge Talente zu entwickeln, sollte er plötzlich mit einer Star-Truppe Titel gewinnen. Doch Bayer nutzte seine Chance - und wie er das tat.
Maximale Ausbeute unter maximalem Druck
Die ersten vier Monate in seinem "Traumjob" waren intensiv. Kaum war der Triumph in der Champions Hockey League geschafft, ging es praktisch nahtlos mit den Playoffs weiter. Das Scheinwerferlicht ist gross, der Druck gewaltig. Doch die Lions blieben standhaft und schafften die erfolgreiche Titelverteidigung. "Erst mit etwas Abstand habe ich realisiert, was wir erreicht haben. Es war eine unglaubliche Saison", sagt Bayer heute, wenige Tage vor dem Saisonstart im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Keystone-SDA.
Im Sommer fand er endlich Zeit zum Abschalten. Kraft tanken im Kreis der Familie oder die Batterien aufladen beim Golfen, seinem grossen Hobby. "Ich würde gerne noch öfter spielen, aber der Job lässt das nicht zu. Ich liebe die Challenge, und das kann ich mit meiner Frau teilen." Abschalten war wichtig, denn nun wartet die nächste Herausforderung: Die erste vollständige Saison als Headcoach in der National League, mit dem Ziel, den Erfolg zu bestätigen.
Kein Platz für Stillstand
Als Schweizer Meister und "Könige Europas" sind die ZSC Lions mehr denn je die Gejagten. Mehr Druck empfindet Bayer deswegen nicht. "Als ZSC bist du immer der Gejagte. Zürich ist immer der Klub, den man schlagen will." Er kennt das Gefühl des Titelverteidigers. Als Spieler wurde der langjährige NLA-Verteidiger in den Neunzigerjahren zweimal Meister mit Kloten. 2016 holte er den Titel als Assistenztrainer mit Bern. Doch nun trägt Bayer die Hauptverantwortung. Er weiss, wie schmal der Grat zwischen Veränderung und Kontinuität ist.
"Es ist immer schwierig, im Erfolgsfall Dinge zu verändern. Zu viel ist nicht gut, zu wenig auch nicht", erklärt Bayer. Die Mannschaft blieb zu 95 Prozent zusammen, punktuelle Anpassungen wurden vorgenommen - personell wie auch systemtechnisch. "Wir haben ein paar neue Elemente eingebaut. Auch, damit die Spieler nicht das Gefühl haben, es gehe einfach im gleichen Trott weiter. Man muss sich weiterentwickeln. Stillstand bedeutet Rückschritt."
Veränderung im Staff
Wie viel Marc Crawford steckt noch in dieser Mannschaft? Fakt ist: Das Gerüst blieb nahezu unverändert. Nur wenige Spieler haben den Klub verlassen, unter anderem Juho Lammikko und Vinzenz Rohrer in Richtung Nordamerika. Neu dazugestossen sind Thierry Bader (von Bern) sowie die Ausländer Pontus Aberg und Andy Andreoff, wobei letzterer verletzungsbedingt bis Ende Jahr ausfällt. Auch im Staff gab es einen Wechsel: Der Schwede Andreas Lilja ersetzt auf der Position des Assistenten Crawfords langjährigen Weggefährten Rob Cookson, der zum Playoff-Finalgegner Lausanne weiterzog.
Lilja bringt reichlich internationale Erfahrung mit. Als Spieler bestritt er 646 NHL-Spiele und gewann 2008 mit den Detroit Red Wings den Stanley Cup. Zuletzt assistierte er Dänemarks Nationalteam, das an der Heim-WM mit dem erstmaligen Halbfinaleinzug für Aufsehen sorgte.
Beim ZSC übernimmt er primär Verantwortung für die Verteidigung und das Boxplay. "Er ist offen, kommunikativ und bringt einen neuen Blickwinkel rein", sagt Bayer. ZSC-Sportchef Sven Leuenberger erhofft sich, dass "unsere jungen Spieler zusammen mit ihm einen Schritt vorwärts machen werden."
Titel, Talente, Tagesgeschäft
Dass beim ZSC nicht nur Resultate zählen, sondern auch Nachwuchsförderung, ist Bayer ein Anliegen - und gleichzeitig eine Gratwanderung. "Zürich will gewinnen, Zürich muss gewinnen. Aber punktuell wollen wir junge Spieler integrieren und ihnen eine Chance geben", sagt er. Zwei, drei Talente seien in der Pipeline, sie sollen Schritt für Schritt herangeführt werden.
Und dann ist da noch der ominöse "Meister-Blues". Gibt es ihn wirklich? Bayer winkt ab. "Je mehr man darüber spricht, desto schwieriger wird es. Was wir erreicht haben, ist Geschichte. Jetzt zählt das Tagesgeschäft." Der Hunger auf mehr sei spürbar. "Mit dem, was wir erreicht haben, können wir uns nichts kaufen. Wir haben Titel gewonnen, aber das treibt uns jetzt an. Wir wollen zeigen, dass wir es wieder können."
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