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Schweizer Tennisprofis spüren den Hass der Wetter
Tennisprofis geraten fast täglich ins Visier von Sportwettern, die nach verlorenen Wetten Hassbotschaften verfassen. Die Schweizer Johan Nikles und Damien Weger erklären, wie sie damit umgehen.
Der Blick auf das Handy ist kein schöner. Kaum ist ein Spiel beendet, werden Tennisprofis mit Drohungen und Beleidigungen eingedeckt. Spitzenspieler wie Gaël Monfils oder Belinda Bencic machten in der Vergangenheit auf dieses Problem in den sozialen Medien aufmerksam, aber auch - oder sogar speziell - die Akteure der zweiten oder dritten Stufe sind davon betroffen. Zum Beispiel die Schweizer Johan Nikles und Damien Wenger.
Nikles gewährte Keystone-SDA Einblick in die Nachrichten, die er nach einer Niederlage bei einem Challenger-Turnier im letzten Sommer in Tschechien erhalten hat. "Hau ab, Schwuchtel", "Gut gespielt, Idiot!", "Mann, du kotzt mich echt an", "Du bist Scheisse" oder das kurze, aber nicht minder erschreckende "Stirb" - meist in Englisch. Nikles ist 28-jährig, aktuell die Nummer 580 der Weltrangliste (vor drei Jahren war er mal gut 200 Plätze besser klassiert) und hat sich daran gewöhnt. "Solche Nachrichten sind mir egal", versichert der Genfer. "Diese Typen sind lächerlich und haben komplett den Bezug zur Realität verloren."
Ein Paradies für Sportwetten
Tennis ist prädestiniert für Sportwetten - und Anfeindungen. Erstens ist es ein Einzelsport, und die Wetter haben ein klares Ziel für ihre Wut. Zweitens ist es ein Wettkampf Mann gegen Mann und Frau gegen Frau, was sich ideal für Wetten eignet. Und drittens steht der Tenniszirkus kaum je still. Von Januar bis Dezember gibt es täglich dutzende, wenn nicht hunderte, Matches, auf die man wetten kann.
Beim nationalen Verband Swiss Tennis bietet man für junge Tennisspieler Schulungen in Sachen Social Media an und zeigt ihnen auf, wo sie Hilfe bekommen können. "Dabei dreht es sich aber mehr um Wettbetrug", stellt Damien Wenger fest. "Dass man sich nie auf Angebote von Leuten, die Wetten platzieren, einlassen soll." Auch der 25-jährige Neuenburger betont, dass er versuche, die Nachrichten zu ignorieren. "Aber manchmal sind sie echt bedrohlich, vor allem, wenn die Familie oder die Freundin beleidigt werden."
162'000 beleidigende Kommentare
Der Internationale Tennisverband (ITF) hat den Kampf gegen Hass in den sozialen Medien zuletzt priorisiert. Seit Januar 2024 verfolgt er beleidigende Beiträge und Kommentare mithilfe eines Erkennungs-Tools. Dieses System schützt automatisch Spielerinnen und Spieler, die an Turnieren der ITF, der WTA sowie an den beiden Grand-Slam-Turnieren Wimbledon und US Open teilnehmen.
Laut einem Bericht des Weltverbandes sind insgesamt mehr als 8000 Athletinnen und Athleten betroffen. Im Jahr 2024 wurden rund 12'000 problematische Beiträge auf Plattformen wie X, Instagram, YouTube, Facebook und TikTok entdeckt. Die ITF ergänzt, dass diese Beiträge den Plattformbetreibern gemeldet und 15 Kontoinhaber anschliessend bei den Behörden in ihren jeweiligen Ländern angezeigt wurden.
Die ATP, die ein eigenes System zum Schutz der 250 besten Spieler der Welt entwickelt hat, gab in einem im August veröffentlichten Bericht bekannt, dass sie im ersten Jahr ihres neuen Systems 162'000 beleidigende Kommentare identifiziert hat.
Nur die Spitze des Eisbergs
Alle diese identifizierten und automatisch ausgeblendeten Nachrichten stellen nur die Spitze des Eisbergs dar, da sie nur Kommentare erfassen, die unter den Beiträgen der Athleten für alle sichtbar sind. Das eigentliche Problem liegt in den privaten Nachrichten, die trotz der Bemühungen der ITF deutlich schwieriger den Behörden zu melden sind.
"Wir bieten allen Spielern einen Service zur Überwachung und Verwaltung privater Nachrichten an, benötigen dafür aber die Zustimmung des Kontoinhabers", erklärt Stuart Miller, Leiter für Integrität und Entwicklung bei der ITF, gegenüber Keystone-SDA. Verständlicherweise sind jedoch nur wenige Athleten bereit, die Kontrolle über ihr Privatleben einer internationalen Organisation zu überlassen.
Es ist fast schon paradox, dass das internationale Tennis das Wetten auf seinen Sport aktiv fördert, da es damit viel Geld verdient. Einige Turniere lassen sich direkt von Wettanbietern sponsern, während es für Spieler und andere Funktionäre strikt verboten ist, selber zu wetten - auch auf Spiele, an denen man nicht beteiligt ist. "Die Wettanbieter verdienen Geld, die ATP, die ITF. Nur wir Spieler bekommen nichts", klagt Johan Nikles. Er findet, dass zumindest ein Teil der Einnahmen an die Spieler gehen sollte .
Davon will die ITF nichts wissen. "Die ITF reinvestiert bereits einen Grossteil der Einnahmen aus dem Verkauf von Ergebnisdaten (Daten, die für Echtzeitwetten notwendig sind) in den Schutz der Spieler-Integrität", argumentiert Stuart Miller. Für den Weltverband ermögliche die Zusammenarbeit mit Wettanbietern, die er seit rund 15 Jahren pflegt, die Kontrolle des Risikos. "Es gab schon immer Wetten auf Tennis. Früher wurden Spieler - oft persönlich - Opfer von Missbrauch, aber die ITF erhielt keine Einnahmen", fügt Miller hinzu. Durch die Zusammenarbeit mit Wettanbietern - "ausschliesslich regulierten Anbietern", betont der Funktionär - verfüge die ITF nun über eine Einnahmequelle, die es ihr ermöglicht, "den Spielern zu helfen."
Diese Unterstützung ist jedoch ziemlich begrenzt. Abgesehen von der Aufdeckung von Belästigungen und der Sensibilisierung der Öffentlichkeit scheint die ITF tatsächlich machtlos zu sein. "Wir haben kaum Einfluss auf die Plattformen, die Tätern von Missbrauch eine Plattform bieten. Und wir sind auch davon abhängig, was in den verschiedenen Ländern legal ist und was nicht", betont Miller. Deshalb appelliert die ITF an ihre Partner, vor allem an soziale Netzwerke und Wettanbieter, "Verantwortung zu übernehmen."
Sogar Erpressungsversuche
Die Übeltäter, die in den privaten Messenger-Apps der Athleten anonym bleiben, können vorerst weiterhin relativ ungestraft agieren. Die Tennisprofis haben sich mit dieser Realität abgefunden. "Ich rede nicht mehr darüber, weil es mir sinnlos erscheint", gibt Johan Nikles zu, der nur eine Lösung sieht: "Aufhören zu wetten, aber das wird wohl nie passieren."
Bereits 2021 hatte der Genfer seine Empörung öffentlich zum Ausdruck gebracht, nachdem er besonders beunruhigende Drohungen erhalten hatte. Ein Wettender hatte unter Androhung eines Ultimatums eine Einzahlung auf sein Bankkonto gefordert und argumentiert, Nikles habe gerade "sein Leben ruiniert" und müsse sich nun auf eine Bestrafung gefasst machen.
Dieser Erpressungsversuch blieb letztlich folgenlos. "Das Problem ist, dass wir sehr leicht aufzuspüren sind. Die Wettenden wissen jederzeit, wo wir sind, an welchem Turnier wir spielen und auf welchem Platz. Aber solange es viel Geld einbringt und solange kein Spieler körperlich angegriffen wird, ist es nicht so schlimm...“, resümiert der Schweizer nicht ohne Bitterkeit. Viele fürchten wie er den Tag, an dem der virtuelle Hass auch ausserhalb des Bildschirms Realität wird.
















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